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Manche betrachten das Gewürz als Segen, andere als Fluch. Dennoch stellt es für jeden eine Notwendigkeit dar.
Pardot Kynes, Planetologe,
Orginalaufzeichnungen von Arrakis
Nach ihrer langen und anstrengenden Reise durch das Alte Imperium, von den Planeten, die sich auf die Schlacht vorbereiteten, bis zu den Werften der Gilde und der Soostein-Förderung auf Buzzel, kehrte Mutter Befehlshaberin Murbella mit neuer Entschlossenheit nach Ordensburg zurück. Da sie mehrere Monate lang fort gewesen war, wirkte ihr Quartier in der Festung nun wie die Wohnung eines Fremden auf sie. Gehetzte Akoluthen und männliche Arbeiter luden eilig ihr Gepäck aus dem Schiff.
Nachdem sie höflich an die Tür geklopft hatte, trat eine Akoluthin ein. Die junge Frau hatte kurzes braunes Haar und lächelte verstohlen. »Mutter Befehlshaberin, das Archiv schickt Ihnen diese neuesten Karten. Sie sollten Ihnen unmittelbar nach Ihrer Ankunft ausgehändigt werden.« Sie hielt ihr die dünnen Blätter mit den detaillierten Linien hin und zuckte erschrocken zurück, als sie den Kampfroboter bemerkte. Er war deaktiviert, stand aber immer noch wie eine Kriegstrophäe in einer Ecke des Raumes.
»Vielen Dank. Mach dir keine Sorgen wegen der Maschine – sie ist so tot, wie es schon bald alle Maschinen sein werden.« Murbella nahm dem Mädchen die Berichte aus den Händen. Auf den zweiten Blick wurde ihr klar, dass die junge Frau ihre Tochter Gianne war, ihr letztes Kind von Duncan Idaho. Eine weitere Tochter, Tanidia, die ebenfalls von der Neuen Schwesternschaft aufgezogen worden war, hatte man fortgeschickt, damit sie für die Missionaria arbeitete.
Wissen Gianne oder Tanidia überhaupt, wer ihre Eltern sind? Vor Jahren hatte sie entschieden, Janess zu offenbaren, dass sie ihre Mutter war, und die junge Frau hatte sich daraufhin an die Aufgabe gemacht, alles über ihren berühmten Vater in Erfahrung zu bringen. Doch die anderen zwei Töchter hatte Murbella auf traditionelle Weise von den Bene Gesserit aufziehen lassen. Vermutlich hatten sie nicht die geringste Ahnung, dass sie etwas ganz Besonderes waren.
Gianne zögerte, als würde sie darauf hoffen, dass die Mutter Befehlshaberin sie noch um etwas anderes bat. Obwohl sie die Antwort wusste, fragte Murbella sie spontan: »Wie alt bist du, Gianne?«
Das Mädchen war anscheinend überrascht, dass sie ihren Namen kannte. »Dreiundzwanzig, Mutter Befehlshaberin.«
»Und du hast dich noch nicht der Agonie unterzogen.« Es war keine Frage. Gelegentlich war die Mutter Befehlshaberin in Versuchung gewesen, ihre Position auszunutzen, um die Ausbildung des Mädchens zu beeinflussen, aber sie hatte es nie getan. Eine Bene Gesserit zeigte keine derartigen Schwächen.
Die junge Frau blickte beschämt zu Boden. »Die Proctoren haben angedeutet, dass mir mehr Konzentration guttun würde.«
»Dann widme dich dieser Aufgabe. Wir brauchen jede Ehrwürdige Mutter, die wir hervorbringen können.« Sie blickte sich zum bedrohlichen Kampfroboter um. »Der Krieg ist schlimmer geworden.«
* * *
Murbella erkannte, dass sie sich keine Ruhe und keine Zeitverschwendung leisten durfte. Sie verlangte, ihre Beraterinnen zu sehen – Kiria, Janess, Laera und Accadia. Die Frauen kamen und erwarteten, sich zu einer Sitzung zusammenzufinden, aber Murbella drängte sie aus der Festung. »Bereitet einen Thopter vor. Wir werden unverzüglich zum Wüstengürtel fliegen.«
Laera, die einen Stapel Berichte mitgebracht hatte, schien diese Aussicht gar nicht zu gefallen. »Aber, Mutter Befehlshaberin, Sie waren sehr lange fort. Viele Dokumente verlangen Ihre Aufmerksamkeit. Sie müssen Entscheidungen treffen, die korrekte ...«
»Ich entscheide über die Prioritäten.«
Kiria schien eine verächtliche Erwiderung auf der Zunge zu liegen, doch sie hielt sich zurück, als sie bemerkte, dass es der Mutter Befehlshaberin ernst war. Sie stiegen in einen leeren Ornithopter und drängten sich in der engen Kabine, dann warteten sie auf den Abschluss der langwierigen Startvorbereitungen. Murbella war zu ungeduldig, um still zu sitzen. »Wenn ich nicht sofort einen Piloten bekomme, werde ich dieses verdammte Ding selber fliegen.« Daraufhin wurde eilig ein junger männlicher Pilot geholt.
Als der Thopter abhob, wandte sie sich schließlich an ihre Beraterinnen. »Die Gilde verlangt eine exorbitante Bezahlung für all die Kriegsschiffe, die sie für uns baut. Bereits jetzt akzeptiert Ix nur noch Melange als Währung, und nachdem die Soosteine von Buzzell allmählich ihren ökonomischen Wert verlieren, hängt nun alles am Gewürz. Es ist die einzige Münze, deren Wert beständig genug ist, um die Gilde zu besänftigen.«
»Besänftigen?«, fragte Kiria. »Was soll dieser Wahnsinn? Wir sollten sie erobern und zwingen, die Waffen und Raumschiffe zu produzieren, die wir brauchen. Sind wir die Einzigen, die die Gefahr erkennen? Die Denkmaschinen sind im Anmarsch!«
Janess war erstaunt über Kirias Vorschlag. »Ein Angriff auf die Gilde würde einen offenen Bürgerkrieg entfachen, zu einem Zeitpunkt, wo wir uns so etwas am wenigsten leisten können.«
»Haben wir genügend finanzielle Mittel, um diese Schiffe bezahlen zu können?«, fragte Laera. »Unser Kreditrahmen bei der Gildenbank ist bereits bis zum Äußersten strapaziert.«
»Wir alle stehen einem gemeinsamen Feind gegenüber«, sagte die alte Accadia. »Die Gilde und Ix sind sicherlich bereit ...«
Murbella rang die Hände. »Das hat nichts mit Altruismus oder Gier zu tun. Trotz bester Absichten tauchen Rohstoffe und Produktionsmittel nicht von selbst wie ein Regenbogen nach dem Gewitter auf. Die Menschen müssen ernährt werden, Schiffe brauchen Treibstoff, Energie muss produziert und aufgewendet werden. Geld ist nur ein Symbol. Die Ökonomie ist der Motor, der die gesamte Maschinerie antreibt. Irgendjemand muss für alle Kosten aufkommen.«
Der Thopter raste dahin, von trockenen, staubigen Windböen geschüttelt, noch bevor sie die Wüste sahen. Murbella blickte aus dem Fenster und war überzeugt, dass sich die Dünen bei ihrem letzten Besuch in der Wüste noch nicht so weit über den Kontinent ausgebreitet hatten. Es war eine unaufhaltsame Antiflut, die totale Trockenheit, die sich wellenförmig über das Land ergoss. Im Herzen der Wüste gediehen und vermehrten sich die Würmer und hielten den Kreislauf in einer ewigen Spirale aufrecht.
Die Mutter Befehlshaberin wandte sich an die Frauen hinter ihr. »Laera, ich benötige eine vollständige Dokumentation unserer Gewürzernte. Ich brauche Zahlen. Wie viele Tonnen Melange erzeugen wir? Wie viel haben wir eingelagert, und wie viel ist für den Export entbehrlich?«
»Wir produzieren genug für unseren Eigenbedarf, Mutter Befehlshaberin. Wir investieren weiterhin in die Steigerung der Produktion, aber unsere Gesamtausgaben haben sich dramatisch erhöht.«
Kiria murmelte eine verbitterte Bemerkung über die Ixianer und ihre endlosen Rechnungen.
»Vielleicht müssen wir Arbeiter von außen dazuholen«, warf Janess ein. »Diese Hindernisse lassen sich überwinden.«
Der Thopter flog auf eine Staubwolke zu, die von einem Ernter in den Himmel geblasen wurde. Mehrere Sandwürmer näherten sich den Vibrationen, wie Wölfe, die ein verwundetes Tier umkreisen. Die Ernteaktion stand bereits kurz vor dem Abschluss. Die Arbeiter hetzten zur Fabrik zurück, und Carryalls warteten in der Luft schwebend darauf, die schwere Maschine aufzunehmen und fortzuschaffen, sobald sich die Würmer zu nahe heranwagten.
»Quetscht die Wüste aus«, sagte Murbella. »Entreißt ihr jedes Gramm Gewürz.«
»Die Bestie Rabban hat vor langer Zeit den gleichen Befehl erhalten, in den Tagen von Muad'dib«, sagte Accadia. »Und er hat auf spektakuläre Weise versagt.«
»Rabban hatte nicht die Schwesternschaft hinter sich.« Sie bemerkte, wie Laera, Janess und Kiria schweigend Kopfrechnungen anstellten. Wie viele Arbeiter können für den Wüstengürtel abgestellt werden? Wie viele Prospektoren und Schatzjäger von außen konnte man auf Ordensburg dulden? Und wie viel Gewürz würde genügen, um die Gilde und die Ixianer zu bewegen, die verzweifelt benötigten Schiffe und Waffen herzustellen?
Der männliche Pilot, der bis jetzt geschwiegen hatte, sagte: »Wenn wir schon mal hier draußen sind, Mutter Befehlshaberin, könnte ich Sie zur Wüstenforschungsstation bringen. Die Gruppe der Planetologen studiert den Wachstumszyklus der Sandwürmer, die Ausbreitung der Wüste und die Parameter, die für den größten Gewürzertrag erfüllt sein müssen.«
»›Verständnis ist nötig, bevor Erfolg möglich wird‹«, zitierte Laera aus der alten Orange-Katholischen Bibel.
»Ja, ich möchte diese Station inspizieren. Forschung ist nötig, aber in Zeiten wie diesen muss es praktisch orientierte Forschung sein. Wir haben keine Zeit für fröhliche Studien, mit denen Wissenschaftler ihren zweckfreien Launen nachgehen.«
Der Pilot neigte den Thopter und flog weit in die offene Wüste hinaus. Am Horizont zeigte sich ein schwarzer Grat aus Fels, eine sichere Bastion, die die Würmer nicht erreichen konnten.
Die Shakkad-Station war nach Shakkad dem Weisen benannt, einem Herrscher aus der Zeit vor Butlers Djihad. Im Nebel der Legenden war er zu einer schemenhaften Gestalt geworden, aber Shakkads Chemiker war in der Geschichte der Erste gewesen, der die geriatrischen Eigenschaften der Melange erkannt hatte. Nun arbeitete und lebte hier eine Gruppe von fünfzig Wissenschaftlern, Schwestern und Assistenten, weit entfernt von der Festung und jeder Störung von außen. Sie installierten Wetterbeobachtungsinstrumente, unternahmen Expeditionen in die Wüste, um die chemischen Veränderungen während der Gewürzeruptionen zu messen und das Wachstum und die Wanderungen der Sandwürmer zu überwachen.
Als der Thopter auf einem niedrigen Felsplateau niederging, das als behelfsmäßiger Landeplatz eingerichtet worden war, kam eine Gruppe Wissenschaftler heraus, um sie zu begrüßen. Zur gleichen Zeit kehrte ein staubiges und windzerzaustes Erkundungsteam aus der Wüste zurück, wo es Bodenproben genommen und Klimadaten gesammelt hatte. Die Leute trugen Destillanzüge, exakte Reproduktionen der Modelle, die einst von den Fremen benutzt worden waren.
Die Mehrheit der Wissenschaftler in der Shakkad-Station war männlich, und mehrere von den älteren hatten sogar kurze Expeditionen nach Rakis unternommen. Drei Jahrzehnte waren seit der Vernichtung der Ökosphäre dieses Wüstenplaneten vergangen, und inzwischen konnten sich nur noch wenige Experten rühmen, die Sandwürmer oder die ursprünglichen Bedingungen auf Rakis aus erster Hand zu kennen.
»Wie können wir Ihnen helfen, Mutter Befehlshaberin?«, fragte der Stationsleiter, der sich die staubige Schutzbrille auf die Stirn hochgeschoben hatte. Die eulenartigen Augen des Mannes hatten sich bereits leicht ins Bläuliche verfärbt. Seit er in diesem Vorposten mit der Arbeit begonnen hatte, war Gewürz ein täglicher Bestandteil seiner Nahrung gewesen. Sein Körper verströmte einen unangenehmen säuerlichen Geruch, als wäre er entschlossen, seine Aufgaben in der wasserlosen Zone besonders ernst zu nehmen und sogar auf regelmäßige Bäder oder Duschen zu verzichten.
»Indem Sie mehr Melange produzieren«, antwortete Murbella unumwunden.
»Haben Ihre Leute alles, was sie brauchen?«, fragte Laera. »Benötigen Sie mehr Vorräte, Ausrüstung oder Mitarbeiter?«
»Nein. Wir brauchen nur Abgeschiedenheit und die Freiheit, unsere Arbeit tun zu können. Und Zeit.«
»Von den ersten beiden Punkten können Sie sich so viel nehmen, wie Sie brauchen. Aber Zeit ist ein Luxus, den sich keiner von uns erlauben kann.«